Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Dienstag, 26. Juni 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Auf dem Weg ins Krankenhaus wird Dietmar von einer seltsamen Stimme aufgehalten...

Na endlisch würd aba och Zeit – das die leute nie das machn, was man ihnn sacht ...“
Was sagt?“, fragte Dietmar.
Na das!“, brüllte es erneut in sein Ohr. Dietmar zuckte erschrocken zusammen – die Worte kamen ganz klar nicht aus dem Mund des Alkies.
Ähm, sag mal: Machst du das?“
Naja, was heißt denn hier icke ... dit is mene alki-fahne, die ham letztez wieda brobiert mich von den alohol wechzubring ... und da is it passirt: Mene aloholfahne hat jelernt su sprechn!“
Kann ich mir schlecht vorstellen!!“
Und da hab ick mir jedacht: prima: Kannst dir ne paar merkers dasu vadienen – bin vor ne paar tagn zu den filialleita jegan ...“, er deutete auf den Kaisers-Markt, der im Untergeschoss des Centers lag, „und hab jesagt, ey, ick mach werbung für eusch, also zum beispiel:
´100 Gramm Rindermett, heute nur 1,49´“, tönte in einer klaren, schönen Supermarktstimme die Alkoholfahne.
Hätte mir als belohnug och schon ne jägameistaflasche jereicht. So eine alohlfahne muss nen hohn aloholproßentsats habm um leistungsfähch su sein ...“
Stimmt genau“, pflichtete die Alki-Fahne bei.
Naja, die krause von den ladn hat misch aba sofot raus jeschmissn. Seit dem bin ick den kaisas böse. Deswegn hab ick deine freundin anjepumpt ...“
Dietmar konnte kaum glauben, was er da grade erlebte. Er ließ sich neben dem Alki auf die Treppe fallen:
Also erstens: Das ist meine Schwester! Und zweitens: Du hast sie damit in den Wahnsinn getrieben.“
Echt?... dit tut mir leid, dit wollt ick nisch ... die is imma stehn jebliebn, janz bleich jewordn und denn weg jeloffen.“
Ja, sie ist übersensibel, das kommt von den Eso-Kursen“, murmelte Dietmar, „klarer Fall von Realitätsverlust, aber das ist ein anderes Thema.“
Sach ick och imma: Imma bei der realität bleibn. Ohh, ick merk schon das sisch mein alkolspiegl jefährlisch absenken tut, dann fang ick imma an su quatschen ...“
Das heißt, wenn du viel Alkohol im Blut hast ...“
... dann halt ick meen maul und meene jägimeistafahne fängt an su laban ...“
Der braucht Meeet, der Fred!“, säuselte die Fahne.
Was isch sachn wollte is wolgendes: Die krause, also dit is ehne von den kaisers-mitarbeitarinnen, die die mich nich ringelassen hat und mich so von ein sicheren arbeitsplatz abjehalten hat. Und nich nur dit: Die is total fies zu den hartz vierlern: Die sagt zu den flaschnsammlan: ihr kommt nur in unsan ladn um pfand zu kassieren und dann klaut ihr auch noch. Wenn der filialleita nich da is, dann schmeißt die die flaschensammla schon mal raus – ey berti erzähl mal, mit die krause ...“
Ein älterer Herr mit Jutebeutel und einem sauber gestriegelten, abgetragenen Jackett, der grade in das Center gehen wollte, stoppte und kam auf die beiden zu.
Ja, die Krause ...“, fing er mit schwacher Stimme an, „die macht uns hier das Leben zur Hölle. Also ich trau mich nicht mehr in den Kaisers rein, ich geb meine Flaschen immer oben bei Netto ab, und nich nur ich, deswegen gibt’s da so lange Schlangen am Automaten.“
Und als ich letztens mit Stinki“, mischte sich ein Punk ein, und setzte sich mit seinem Hund auf die Treppe, „zu spät war, um bei Netto noch Wurst für uns beide zu kaufen, da bin ich runter zu Kaisers und da hat die Alte uns angeranzt, von wegen, dass das hier kein Assi-Supermarkt sei und so ‘nen Scheiß ...“
Na klar, dachte Dietmar, stimmt, das hat Sandra auch erzählt. Die hatten was gegen Hartz IV-Empfänger hier, besonders eine von den Blaukitteln tat sich mit Sprüchen hervor, die sie gerne über die Lautsprechanlage verkündete: „5-3 an die Käsetheke, 5-3 an die Käsetheke: Bitte mal die Gouda-Häppchen wegstellen – da ist gerade ein Hartz IV-Empfänger in den Laden angekommen, die verwechseln einen Supermarkt ja gerne mal mit `ner Bahnhofsmission!!!“

Entwarnung: Sandra ist nicht verrückt, sie ist nur auf den Superhelden Fred gestoßen – nächste Woche Dienstag geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Dienstag, 19. Juni 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Dietmar ist auf dem Weg ins Krankenhaus, um Sandra zu besuchen, die sich selbst in die Nervenklinik eingewiesen hat...

Zur selben Zeit entschloss sich Dietmar vor dem Center, für Sandra Schokolade zu kaufen. Nervennahrung, da konnte man nichts falsch machen, die konnte man notfalls auch verfüttern.
Nu geh mal zu dem alten Sack da vorn, na geh schon!“
Bitte?“ Dietmar blickte sich um – aber da war keiner, der den Satz gesagt haben konnte.
Was war das denn …?“, fluchte er.
Na wird’s bald?“, dröhnte es an sein linkes Ohr.
Was ist denn das für ein Dreck?“ Dietmar war nicht zum Scherzen zumute.
Er aktivierte sein Glasauge und begann, akribisch die Umgebung zu scannen:
Im Einkaufscenter konnte er im Aufenthaltsraum zwei rauchende, frustriert dreinblickende Verkäuferinnen ausmachen. Und in der Getränkeabteilung stopfte sich ein Zehnjähriger gerade ein Bier in die Jackentasche. Nichts Verdächtiges also. Sein Blick drang in das Innenleben der angrenzenden Neubauten. Ein Mann brüllte seine Frau nieder, eine Fünfjährige hockte vor einem riesigen Plasmabildschirm und guckte Manga-Filme und ein Mann betete Richtung Mekka, während seine Frau Tee kochte und sein Sohn über einem Schaltkreis brütete. Neuköllner Alltag halt, dachte Dietmar, als sein Blick wieder am Eingang des Hermann-Centers angekommen war, auf dessen Treppenabsatz ein Alkoholiker hockte.
Bildete er sich das grade ein, oder gestikulierte der in seine Richtung? Bei Besoffenen war das ja schwierig zu sagen. War das der alte Sack?
Geh schon hin!“, brüllte es in Dietmars Ohr und süßer Alkoholduft stieg ihm in die Nase.
Kacke, was ist das bloß?“, murmelte er und blickte sich nochmals um. Nichts.
Nur der Alkoholiker, der jetzt entschiedener in Dietmars Richtung gestikulierte. Unsicher ging Dietmar auf den Mann zu.

Wer verbirgt sich hinter dieser seltsamen Stimme? Am nächsten Dienstag geht die Hartz-Four-Saga weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Dienstag, 12. Juni 2012

Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Der Bodybuilder Mike ist zusammengebrochen und wurde von Dietmar und Sandra gerettet – am nächsten Morgen geht es weiter...

Bestürzt zog er seine Jacke wieder an.
Enthusiastisch war Dietmar aus dem Hobbykeller in ihre Wohnung hinaufgestürmt, um Sandra von der neuen technischen Errungenschaft zu berichten, die er seinem Glasauge hinzugefügt hatte. Aber von seiner Schwester keine Spur. Stattdessen lag ein Zettel auf dem Küchentisch:
Habe heute morgen beim Einkaufen wieder diese Stimmen gehört. Da du gestern gesagt hast, dass du mich nicht aus der Klapse holst, gehe ich davon aus, das du mich auch nicht hinbringen würdest. Bin auf dem Weg in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Sandra“

Hatte er gestern zu hart reagiert? „Mist. Ich hätte die Sache mit diesen Stimmen vielleicht doch ernster nehmen sollen, dann wär mir jetzt wenigstens klar, was die so flüstern“, dachte sich Dietmar, während er die Treppen hinunter eilte.
In eine sozialistische Partei hätte sie eintreten sollen, gleich nach ihrer Grufti-Phase, die vermitteln den jungen Leuten Werte! Plakate kleben, körperliche Arbeit – dann kommt man nicht auf dumme Gedanken“, murmelte er, als er am Hermann-Center vorbei stapfte.
Vielleicht sollt ich ihr ein paar Blumen mitnehmen?“
Obwohl ... Er stellte sich vor, wie er Sandra den Blumenstrauß hinhielt, während sie in einer Zwangsjacke steckte. Verdammt, diese ganze Sache nahm ihn mehr mit, als er es sich eingestehen wollte …

Währenddessen wurde Sandra mit der ärztlichen Diagnose konfrontiert.
Das sieht gar nicht gut aus, Frau Röber!“, sagte Dr. Zwackelmann und schaute mit leidender Miene auf die Graphen, die sein Drucker gerade ausgespuckt hatte.
Es kann theoretisch natürlich einfach eine psychische Disposition sein – im günstigsten Fall –“, er strich sich bedächtig durch seinen grauen Jürgen-von-der-Lippe–Bart, „oder aber es handelt sich um etwas Organisches, also Metastasen im Großhirn beispielsweise, das müsste aber erst durch ein CT geklärt werden. Jedenfalls ist es gut, dass sie sofort einen Arzt aufgesucht haben …“, fuhr Zwackelmann fort.

Sandra saß wie gelähmt in ihrem Stuhl. Warum wurde sie vom Schicksal ein weiteres Mal so hart geprüft? Und warum wurde ihr grade jetzt, wo sie und Dietmar eine Mission hatten, ein solcher Klotz in den Weg gelegt?
Ihre Lebensaufgabe sollte es doch offensichtlich sein, ihren Mitmenschen zu helfen. Deswegen hatte sie bei ihrer letzten Erleuchtungsmeditation „Ja“ gesagt und ihre Mission akzeptiert.
Aber wie soll ich anderen helfen, wenn meine eigenen Chakren völlig unbalanciert sind?“, fragte sie sich und wischte sich eine Träne von der Wange.

Am nächsten Dienstag geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann



Freitag, 8. Juni 2012

Bevor wir uns am Dienstag wieder der Entstehung der Hartz-Four-Superheldentruppe widmen, hier ein Häppchen für die Fans des Hörspiels: Der Trailer für die Hartz-Four-Hörspielreihe!
Produziert und gesprochen von Stephan Ziron.




Am Dienstag geht’s mit dem geschriebenen Wort weiter...

Dienstag, 5. Juni 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Nachdem der Ein-Euro-Jobber Mike ärztlich versorgt wird, überlegen Dietmar und Sandra, wie sie weiter fortfahren...

Wir fahren ihn gleich morgen besuchen!“, forderte Sandra, als sie eine halbe Stunde später wieder in der S-Bahn saßen und ihrer gemeinsamen Leidenschaft frönten: dem Streiten.
Jaja, machen wir ja – du kriegst dein Helfersyndrom wieder mal nicht unter Kontrolle …“
Wenn wir unser Hartz-Angel-Projekt ernst genommen hätten, dann wären wir gleich mitgefahren!“, zischte Sandra zurück.
Ach, und wie hätte ich den Bullen erklären sollen, wie wir ins Haus gekommen sind? Oder warum wir dort waren? ´Ja, meine Schwester hatte in der Nacht einen Traum, von einem starken, gut gebauten Mann und deswegen …´“
Zumindest gibst du jetzt mal zu, dass an meinem Traum etwas Wahres dran war!“
Ach“, winkte Dietmar ab, „mich interessiert viel mehr, warum sein Körper so brutal reagiert hat. Ich habe gesehen, dass er kurz zuvor was gegessen hat: Vielleicht ist das so eine Art Schutz gegen Mundraub. Kann ja sein, dass diese Snobs das Essen vergiftet haben oder das Jobcenter steckt dahinter, um die Arbeitslosenzahlen zu manipulieren …“
Oder er wurde verhext, so wie der gedampft hat! So was gibt‘s! Ich gebe ihm gleich mal ein wenig Fernreiki …“ Sandra legte die Hände auf die Knie.
Oh, Mann ... Wenn du hier gleich ein Pentagramm legst, dann sag Bescheid, dann setz ich mich woanders hin.“
Von mir aus, da störst du wenigstens mein Energiefeld nicht!“
Dietmar stand auf: „Pass mal auf, Schwesterherz, nur für den Fall, dass du morgen beim Brötchenholen wieder diese Stimmen hören solltest: Ich hol dich nicht aus der Klapse.“
Er setzte sich provokativ zwei Sitzbänke weiter nach vorne – neben eine adrette Blonde, scannte jedoch kurz darauf ihr künstliches Hüftgelenk und versank in dumpfes Brüten …

Wegen der Kürze dieses Kapitels gibt es am Freitag ein Special – lasst Euch überraschen...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann